01.09.2021
Arbeitsleben
Auf der überwachungspflichtigen Rehabilitation der Rehaklinik Bellikon begleiten Pflegefachpersonen Menschen in heiklen Lebensphasen. Täglich gibt es Glück und Leid, und immer wieder Überraschungen.
Eine der Pflegestationen der Rehaklinik Bellikon hebt sich von den anderen ab: Wer hinein will kann dies nur per Schleusensystem, Besucherinnen und Besucher ebenso wie die Mitarbeitenden. Im Zentrum des modernen, lichtdurchfluteten Raums steht ein Empfangs-Desk mit mehreren Monitoren. Die Pflegefachfrauen und -Männer, die hier arbeiten, nennen ihn «Stützpunkt», denn von hier aus haben sie den Rundumblick über die gesamte Abteilung: Auf den Monitoren flimmern Bilder aus den 12 Einzelzimmern, die gegenüber und seitwärts des Desks liegen, und auch die grossen Glasfenster geben bei geöffneten Rollos den Blick auf die Patienten frei. In der überwachungspflichtigen Rehabilitation muss das Personal jederzeit sehen können, was die Patienten gerade tun. Denn sie alle befinden sich in einem prekären Zustand und viele von ihnen sollten eines auf keinen Fall: ohne Unterstützung und Aufsicht aufstehen.
Die meisten Patienten hier haben schwere Verletzungen und Erkrankungen des Gehirns, einige sind Tumorpatienten oder Unfallopfer. Sie alle befanden sich vor ihrem Eintritt in die Rehaklinik in Intensivpflege- oder Intensivüberwachungs-pflegestationen von Spitälern. Jetzt benötigen sie keine maschinelle Unterstützung mehr – wie zum Beispiel künstliche Beatmung – und haben soweit einen stabilen Kreislauf. Ihre Wahrnehmung ist aber noch beeinträchtigt, so dass sie beim Aufstehen, Essen und bei der Körperpflege professionelle Unterstützung benötigen. Da einige kognitiv beeinträchtigt sind und sich deswegen in der Klinik verirren könnten, ist der Ein- und Ausgang der Station zu ihrem eigenen Schutz nur durch die Schleuse möglich.
Trotz ihres oft noch heiklen Zustands wird hier mit der
Rehabilitation gestartet. Die Stationsleiterin erklärt, weshalb: «Je früher mit
der Therapie begonnen wird, desto grösser sind die Chancen auf ein
bestmögliches Ergebnis der Rehabilitation. Das Wiedererlangen der
alltäglichen Körperfunktionen, der Umgang mit Beeinträchtigung und die Steigerung
der Lebensqualität stehen im zentralen Fokus der Rehabilitation.
Die Arbeit des
Pflegefachpersonals umfasst nebst der kontinuierlichen Überwachung und
Verabreichung von diversen Medikamenten eine aktivierende
Rehabilitationspflege. «Wir geben zum Beispiel dem Patienten einen Waschlappen
in die Hand und führen diesen mit ihm zusammen zum Gesicht. Oder wir üben mit
ihm das Aufstehen», sagt die Stationsleiterin. In erster Linie gehe es darum,
dass die Patienten wieder sich selbst spüren und ihre Bewegungen bewusst
ausführen können. Dabei werden sie auch von Physio- und Ergotherapeuten sowie
von Logopäden unterstützt, die für die Therapien herkommen. Die Patienten erhalten
hier schneller Orientierung, und die stete Anwesenheit eines bewährten,
professionellen Teams vermittelt ihnen ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit.
Manche der Betroffenen müssen realisieren, dass ihr Leben nie mehr so sein wird wie früher.
Das ist in dieser Lebensphase dringend notwendig. Die stellvertretende Stationsleiterin meint dazu: «Sobald es heisst, ein Patient könne mit der Rehabilitation beginnen, ist viel Hoffnung auf Genesung da. Doch leider müssen manche Betroffenen irgendwann realisieren, dass das Leben nie mehr so sein wird wie früher. Es kommt vor, dass ein Patient nicht mehr heimkehren kann, sondern danach sogar auf eine Palliativ-Abteilung oder in ein Pflegeheim verlegt werden muss. Das ist aber zum Glück eher selten der Fall.»
Die Pflegefachfrauen und -Männer begleiten auch die Angehörigen durch diese schwere Zeit. Die stellvertretende Leiterin: «Das verlangt eine hohe Sensibilität. Wir vermitteln keine falschen Hoffnungen und machen keine Prognosen, sondern schauen immer den Moment an: Was ist jetzt?» Denn eines erlebt das Team immer wieder: Dass der Zustand eines Patienten sich nicht so entwickelt, wie es zunächst aussieht. «Manche Patienten werden im Koma zu uns gebracht, und zwei Wochen später sind erste massgebliche Erfolge sichtbar. Andere wirken stabil, doch es stellen sich kaum oder nur sehr langsam Fortschritte ein.» Man könne im Voraus nie genau sagen, wie sich das Gehirn eines Menschen regeneriert.
Und genau das macht die Arbeit für unsere Mitarbeitenden hochspannend. So sagt die Stationsleitung: «Mir wird hier immer wieder bewusst, was für ein Wunderwerk der Mensch doch ist. Natürlich erleben wir viele schwere Schicksale, doch immer wieder auch sehr positive Entwicklungen. Oft sind kleine Schritte wahre Glücksmomente.» Seit sie hier arbeite, spüre sie täglich die Kostbarkeit des Lebens, und dass man Träume nicht aufschieben darf. «Ich probiere, jeden Tag bewusst zu geniessen.»
Autor: Reha Bellikon