27.10.2022

«Kitas brauchen dringend bessere Rahmenbedingungen»

Arbeitsleben

Jeannette Good, Geschäftsführerin vom Verein ABB Kinderkrippen, kämpft um Personalschlüssel mit mehr qualifizierten Mitarbeitenden – gern auch Männern. Neben dem Fachkräftemangel sind neue Arbeitsmodelle der Eltern eine Herausforderung. Die grösste Kita-Institution im Kanton hat deshalb ein flexibles Betreuungsangebot geschaffen.

Die Kitas im Aargau sind laut einer Studie unterbelegt. Wie ist es bei Ihnen?

Jeannette Good: Als ich vor zwanzig Jahren angefangen hatte, wurde ich bestürmt, neue Betreuungsplätze zu schaffen. Damals startete auch die Anstossfinanzierung durch den Bund, und wir eröffneten mehrere neue Standorte. Noch vor Corona konnten wir plötzlich nicht mehr alle Plätze besetzen, und während der Pandemie mussten wir unser Angebot reduzieren. Homeoffice ist nach Corona nicht verschwunden. Dies könnte dazu führen, dass unsere Kundinnen und Kunden vermehrt eine Kita in der Nähe ihres Wohnorts berücksichtigen.

Neben dem Standort sind die Kosten massgebend für die Krippenwahl. Ein politischer Vorstoss will die Finanzierung ändern, um die Eltern zu entlasten. Was halten Sie davon?

Good: Dass sich an den Subventionen für Eltern mit geringen und mittleren Einkommen neben den Gemeinden neu auch der Kanton beteiligen soll, finde ich richtig. Es braucht aber zusätzlich die Wirtschaft, und wir gehen mit gutem Beispiel voran: Eltern, die in einer Firma arbeiten, die Vereinsmitglied von ABB Kinderkrippen ist, zahlen einen reduzierten Tarif. Die Ganztagesbetreuung eines mindestens anderthalbjährigen Kindes in Baden kostet dann maximal 92 statt 116 Franken. Dies entlastet die Hälfte unserer Kundschaft. Die Unterstützung der Eltern ist gut, aber etwas fehlt in der politischen Diskussion.

Was denn?

Good: Es wird nur darum gerungen, wer sich an der Finanzierung wie stark beteiligen soll, aber die Anhebung der Tarife ist kein Thema. Dabei bräuchte unsere Branche dringend bessere Rahmenbedingungen: höhere Löhne für mehr qualifiziertes Personal. Unser Personalschlüssel ist fifty-fifty: Jede zweite Kita-Mitarbeitende ist nicht oder noch nicht adäquat ausgebildet. Ausbildung und Erfahrung garantieren jedoch eine professionelle Kinderbetreuung, und die Qualität sollte eigentlich das wichtigste Kriterium der Krippenwahl sein. Deshalb lassen wir unsere Krippen wenn möglich mit dem QualiKita-Label zertifizieren.

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Jede zweite Kita-Mitarbeitende ist nicht oder noch nicht adäquat ausgebildet.
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Jeannette Good, Geschäftsführerin Verein ABB Kinderkrippen

Der Fachkräftemangel ist auch in Ihrer Branche angekommen?

Good: Ja, wir können nicht alle Stellen pünktlich besetzen. Eigentlich würden sich genug Interessierte als Fachfrau/-mann Betreuung (FaBe) ausbilden lassen, nur springen später leider viele wieder ab. Momentan ist es unter anderem die Volksschule, die händeringend nach Klassenassistentinnen sucht – und besser bezahlt als wir. Zudem ist Kinderbetreuung zwar ein schöner, aber strenger Job. Es gibt keine flexiblen Arbeitszeiten, keine Homeoffice-Möglichkeiten, oft fehlt die Zeit für Arbeiten ohne Kinder – zum Beispiel Elternkontakt –, und während Corona musste der Betrieb auch bei vielen Ausfällen aufrechterhalten werden.

Welche Benefits können Sie Ihren Mitarbeitenden bieten?

Good: Die 40-Stunden-Woche; in anderen Kitas arbeitet man eine halbe Stunde länger pro Tag. Wir geben zudem mindestens fünf statt vier Wochen Ferien und nach fünf sowie zehn Jahren eine Treueprämie. Unsere Konditionen für die Taggeldversicherung und die Pensionskasse sind attraktiv – was die Lernenden und Berufseinsteigerinnen noch nicht gross interessiert (lacht).

Apropos Lernende: Der erwähnte Vorstoss verlangt auch ein Praktikumsverbot, wenn keine Lehrstelle garantiert ist. Eine gute Idee?

Good: Der Verein ABB Kinderkrippen hat das Praktikum ohne Anschlusslösung schon vor vielen Jahren abgeschafft. Zu viele Praktikantinnen und Praktikanten würden den Personalschlüssel zusätzlich belasten. Wir haben nur noch wenige, und wer sich bewährt, kann die Lehre bei uns antreten. Unsere Praktika dauern ein Jahr und beinhalten ein schulisches Brückenangebot, beispielsweise das Berufsvorbereitungsjahr am Bildungszentrum Kinderbetreuung (BKE).

Was tun Sie, um auch Männer für den Beruf zu begeistern?

Good: Wir laden zum Beispiel via Schulen Jugendliche und Eltern ein und stellen uns vor. In meiner Wahrnehmung ist das Interesse von Männern an der Kinderbetreuung auch innerhalb der Familie gestiegen – Stichwort Papitag. Zudem bietet FaBe eine Perspektive: Man kann sich zum Kindheitspädagogen HF weiterbilden und mit diesem Abschluss auch konzeptuelle, administrative und Führungsaufgaben übernehmen.

An zunehmenden Papi- und Mamitagen dürften Sie keine Freude haben: Sie sind schlecht fürs Geschäft.

Good: Das durchschnittliche Betreuungspensum pro Kind ist tatsächlich gesunken, wobei auch Corona eine Rolle spielte. Ich verstehe das, denn familienexterne Kinderbetreuung ist teuer. Sie darf einfach nicht so teuer sein, dass zusätzliches Einkommen gleich wieder weggefressen wird. Wie sonst bringen wir gut ausgebildete Frauen wieder in einen Arbeitsmarkt, in dem überall Fachkräfte fehlen?

Welchen Beitrag neben der Tarifgestaltung können Sie leisten?

Good: Wir haben seit kurzem ein Walk-in-Angebot mit flexiblen Betreuungszeiten. Von Montag bis Freitag kann man sein Baby oder Kind ohne Voranmeldung in unsere neue Kita Duplex in Baden bringen, wo es maximal fünf Stunden betreut wird. Von Arbeitnehmenden in Teilzeit wird vermehrt erwartet, dass sie auch an ihren freien Tagen zum Beispiel an einem wichtigen Videocall teilnehmen. Für solche Fälle ist unsere flexible Kinderbetreuung da.

Verein ABB Kinderkrippen

Der Verein ABB Kinderkrippen betreibt im Raum Baden und Zürich 16 Kindertagesstätten und für Schulkinder 3 Horte mit insgesamt 570 Betreuungsplätzen und rund 300 Mitarbeitenden. Sie ist damit die grösste familien- und schulergänzende Betreuungsinstitution im Kanton Aargau. Aus den Betriebskrippen der BBC hervorgegangen, öffnete ABB das Angebot 1996 nach aussen. Rund 30 Unternehmen sind heute Mitglied des Vereins und sorgen mit ihren Beiträgen dafür, dass ihre Mitarbeitenden von Sonderkonditionen profitieren. Die Krippen stehen grundsätzlich allen offen, «Interne» und «Externe» halten sich in etwa die Waage.


Kitas und familienfreundliche Arbeitgeber im Aargau finden? Lesen Sie hier die WLA-Story über familienergänzende Kinderbetreuung.

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