18.08.2021

Was tun gegen den Fachkräftemangel?

Unternehmen

"Unternehmen müssen inspirieren", sagt Patrick Mollet. Der Mitinhaber von «Great Place to Work Switzerland» erklärt im Interview, weshalb Unternehmen mehr Offenheit bei der Rekrutierung von Fachkräften zeigen sollten.

Arbeitswelt Aargau: Frauen, Ältere, wenig Gebildete, Flüchtlinge: Die Schweizer Fachkräftepolitik sieht bei diesen Menschen das grösste Potenzial, um den Fachkräftemangel zu beheben – sehen Sie das auch so?

Patrick Mollet: Ja, auf jeden Fall. Es ist richtig, die genannten Gruppen zu motivieren und falls nötig zu qualifizieren, damit sie ihr Potenzial auf dem Arbeitsmarkt einbringen können. Bei vielen Unternehmen muss diesbezüglich noch ein Umdenken stattfinden. Sie sollten offener gegenüber Teilzeitarbeit oder Quereinsteigenden werden. Heute ist es so, dass Bewerbende eine lange Liste fachlicher Anforderungen erfüllen müssen, damit sie eine Chance auf einen Job haben. Dabei gibt es viele Mitarbeitende, die gut passen würden. Die fehlenden Qualifikationen können sie sich «on-the-job» aneignen.

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Fast überall fehlen Fachkräfte.
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Patrick Mollet, Mitinhaber Great Place to Work Switzerland

Welche Branchen haben es am schwierigsten, Fachkräfte zu finden?

Wo ist es nicht schwierig, muss man heute fragen. Fast überall fehlen Fachkräfte: Vor allem in der IT, im Gesundheitswesen, im handwerklichen Bereich, bei den Lehrkräften. Der demografische Wandel stellt uns vor grosse Herausforderungen. Es hat zu wenig Junge, die nachrücken. In der Vergangenheit füllte man die Lücke mit Zuwanderung – das ist politisch nicht mehr opportun.

Was für Optionen hat ein Unternehmen, das keine Fachkräfte findet?

Es herrscht ein Verdrängungswettkampf. Heute reicht es nicht mehr, ein Inserat zu schalten und auf die passenden Bewerbungen zu warten. Unternehmen müssen sich aktiv verkaufen. Über Inserate erreiche ich nur die Leute, die aktiv auf Stellensuche sind. Active Sourcing ist heute angesagt, das heisst, dass man beispielsweise über die sozialen Medien wie LinkedIn oder bei Jüngeren auch Instagram potenzielle Mitarbeitende anspricht. Auch dass Mitarbeitende andere Mitarbeitende anwerben, wird immer wichtiger. Die eigenen Mitarbeitenden können gut einschätzen, welche ihrer Bekannten gut ins Unternehmen passen würden.

Mit «Great Place to Work» unterstützen Sie Unternehmen beim Verbessern ihrer Unternehmenskultur. Können Unternehmen Fachkräfte allein mit einer guten Unternehmenskultur für sich gewinnen?

Schön wär‘s (lacht). Mit einer guten Firmenkultur können Fachkräfte sicher angezogen werden. Der Inhalt der Arbeit und der Lohn sind auch wichtig, aber für sehr viele ist ein gutes Team und ein respektvoller Umgang untereinander genauso wertvoll. Man möchte stolz auf seine Tätigkeit sein. Gerade kleine Unternehmen, die eine gute Unternehmenskultur haben, sollten diese bei der Mitarbeiterrekrutierung noch besser nutzen, indem sie etwa mit Fotos oder Videos von ihren zufriedenen Mitarbeitenden auf ihrer Webseite werben.

Hilft eine gute Unternehmenskultur auch in hart umkämpften Branchen, wie im Gesundheitswesen?

Gerade in diesen Branchen ist das Thema noch wichtiger. Wir haben zum Beispiel das Alterszentrum Reusspark als «Great Place to Work» zertifiziert. Es kann nicht mit hohen Löhnen punkten, aber mit einer wertschätzenden Unternehmenskultur. Zudem ist der Reusspark auch fortschrittlich bei Arbeitszeiten, Ferien und Kinderbetreuung. In die Unternehmenskultur sollte man auch investieren, damit man die bestehenden Mitarbeitenden halten kann.

Was müssen Unternehmen heutzutage zwingend bieten, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten?

Viele Unternehmen kommen zu uns und wünschen sich eine Checkliste mit fünf Punkten. So einfach geht das aber nicht. Jedes Unternehmen hat seine eigene DNA, seine eigene Kultur. Es kommt ganz auf die Zielgruppe der Mitarbeitenden an. Und diese sind keine Roboter. Ein Softwareentwickler hat wahrscheinlich andere Bedürfnisse als eine Pflegefachfrau. Die Unternehmen müssen herausfinden, was ihre Mitarbeitenden wollen. Dabei geht es nicht um den Früchtekorb oder den Töggelikasten, die zur Verfügung stehen sollten, deshalb ist niemand nachhaltig zufrieden.

Sie unterstützen Unternehmen dabei, eine gute Unternehmenskultur zu entwickeln. Wo harzt es oft?

Es gibt Unternehmen, die sich noch nie Gedanken dazu gemacht haben. In diesen Fällen geht es darum, dass Führungskräfte und Mitarbeitende gemeinsam herausfinden, was ihnen wichtig ist und wie sie zusammenarbeiten wollen, und dies in einem Leitbild festhalten. Dann gibt es die Betriebe, wo das Leitbild zwar existiert, aber nur wenig mit der Realität zu tun hat. Wichtig ist, dass abstrakte Begriffe mit Leben gefüllt werden, und auch gesagt werden kann, wenn gegen die eigenen Werte verstossen wird. Wir involvieren jeweils möglichst viele Mitarbeitenden in den Kulturbildungsprozess, damit die Kultur auch gelebt wird. Sie kann nicht von oben herab «angeordnet» werden. Meist haben die Mitarbeitenden in unseren Workshops grossen Spass daran, Werte und Kultur mitzugestalten.

Vertrauen ist die wichtigste Währung für ein Unternehmen, steht auf Ihrer Webseite. Sie nennen das «Vertrauensbasierte Arbeitsplatzkultur» – wie schafft ein Betrieb diesen Wandel, wenn er bisher eher auf Kontrolle ausgerichtet war?

Das hängt stark mit der Einstellung der Führungskräfte zusammen. Wir arbeiten mit ihnen und schauen uns genau an, weshalb sie bisher vielleicht eher kontrollfokussiert geführt haben. Der Führungsstil hängt stark mit dem Menschenbild zusammen. Sagt jemand: Ich habe tolle Mitarbeitende. Oder: Ich habe faule Säcke und muss ihnen dauernd auf die Finger schauen. Es ist absurd, erfahrene Fachkräfte kontrollieren zu wollen. Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass im Homeoffice sehr wohl gearbeitet wird – zum Teil sogar effizienter als im Büro.

Die Generation Z (ab 1997 geboren) will sinnstiftende Tätigkeiten und viel Freizeit, trotzdem finanzielle Sicherheit. Wie kann sie angezogen werden?

Der Trend geht immer mehr Richtung Sinnhaftigkeit und Zufriedenheit mit der Tätigkeit. Es geht den Jungen nicht darum, möglichst viel Geld zu verdienen. Unternehmen müssen ihre Sinnhaftigkeit erklären, sie müssen inspirieren können, so dass ihre Mitarbeitenden sich als Teil eines grossen sinnhaften Ganzen empfinden. Für die Generation Z sind Flexibilität und Teilzeitstellen wichtig. Sie haben keine Lust von Montag bis Freitagabend im Büro zu hocken. Nun kommen wir wieder zum Beginn unseres Gesprächs: Für Unternehmen geht es heute darum, sich anzupassen, sich zu bewegen, auch mal Teilzeitarbeit anzubieten oder jemanden einzustellen, der noch nicht alles kann und im Job ausgebildet wird. Am wichtigsten ist, dass die Mitarbeitenden zur Kultur passen, das fachliche wird überbewertet – so vieles kann gelernt werden!

Zur Person

Patrick Mollet ist Mitinhaber von «Great Place to Work Switzerland». Seit bald 20 Jahren unterstützt er Unternehmen dabei, passende Talente zu finden. Neben Employer Branding interessiert ihn vor allem, wie die Arbeitswelt der Zukunft aussieht.

Quelle: Arbeitswelt Aargau 1/2021, Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Aargau; Interview mit Patrick Mollet, Mitinhaber von Great Place to Work Switzerland

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